Richtlinien für die Konservierung und Restaurierung von Glasmalereien

Zweite Fassung, Nürnberg 2004


1   Einleitung

2   Erforschung und Dokumentation

3   Präventive Konservierung

3.2   Schutzverglasung

3.3   Handhabung, Transport, Aufbewahrung und Ausstellung

4   Konservatorische und restauratorische Eingriffe

4.2   Zugang, Konservierung am Ort und Behandlung vor dem Ausbau

4.3   Die Behandlung der Glasoberfläche

4.4   Die Behandlung von Fehlstellen und Ergänzungen

4.5   Statische Sicherung

5   Impressum



1   Einleitung

1.1    Diese Richtlinien geben einen Überblick über die restauratorische Ethik, die für die Konservierung und Restaurierung historischer Glasmalereien unabhängig von ihrer Entstehungszeit gilt. Sie sollen sowohl Restauratoren und Sachverständigen als Richtschnur dienen wie auch eine Einführung und Informationsquelle für Personen und Institutionen sein, die für die Erhaltung von Glasmalereien zuständig sind.

1.2    Erstmalig wurden die Richtlinien im Jahr 1989 durch das Internationale Komitee für die Konservierung von Glasmalereien des Corpus Vitrearum in Verbindung mit dem Komitee für Glasmalerei von ICOMOS formuliert. Die vorliegenden Richtlinien wurden im Originaltext auf Englisch, Französisch und Deutsch verfaßt. Übersetzungen in andere Sprachen müssen durch die Nationalkomitees des Corpus Vitrearum erfolgen und bedürfen der Bestätigung durch das Internationale Komitee für die Konservierung von Glasmalereien. Das Corpus Vitrearum ist eine internationale wissenschaftliche Organisation, die die Erforschung und Publikation historischer Glasmalereien zum Ziel hat. Sein Komitee für Konservierung fördert deren Erhaltung und Restaurierung in Übereinstimmung mit den vorliegenden Richtlinien, koordiniert die Forschung und unterstützt den fachlichen Austausch.

1.3    Gegenstand dieser Richtlinien sind die Grundsätze der Glasmalerei-Restaurierung. Es werden daher keine allgemeinen Restaurierungsprinzipien wiederholt, die in anderen international anerkannten Grundsatzpapieren bereits publiziert wurden. Hierfür sei verwiesen auf die Internationale Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und Ensembles (Charta von Venedig, ICOMOS, 1964), The Conservator-Restorer: A Definition of the Profession (ICOM Committee for Conservation Working Group "Training in Conservation and Restoration" Kopenhagen 1984), den ICOM Code of Professional Ethics (ICOM, Buenos Aires 1986), und die Guidelines on Education and Training in the Conservation of Monuments, Ensembles and Sites (ICOMOS, Colombo 1993).

1.4    Der Begriff "Glasmalerei" soll im Rahmen dieses Dokuments Glasmalereien, Kunst- und Bleiverglasungen, Werke in Kupferfolientechnik, Betonglasfenster und andere Arten architekturgebundener Verglasungen umfassen, sowohl in situ (am Ort) wie auch nach ihrer Übernahme durch ein Museum oder eine Privatsammlung.

1.5    Die Wertigkeit von Glasmalereien entspricht der aller anderen Kunstgattungen. Sie sind deshalb, unabhängig von ihrem Alter oder aktuellem Marktwert, mit der gleichen Sorgfalt und Professionalität zu konservieren und zu restaurieren. Glasmalereien können nicht isoliert betrachtet werden. Ihr geschichtlicher und materieller Kontext muß ebenso wie die Einbaubedingungen und das architektonische Umfeld Bestandteil der Planung und der Ausführung von Restaurierungen sein. Daher erfordert die Konservierung von Glasmalereien die Zusammenarbeit einer Gruppe von Spezialisten, der neben den Restauratoren u. a. auch Kunsthistoriker, Architekten, Naturwissenschaftler, Bauphysiker und Verantwortliche aus der staatlichen Denkmalpflege (wo diese existiert) angehören. Die Auswahl der am Konservierungsprojekt beteiligten Fachleute sollte aufgrund ihrer Ausbildung, der fachlichen Weiterbildung und der nachgewiesenen Erfahrung erfolgen. Die Qualität der Restaurierung muß den Vorrang vor finanziellen Erwägungen haben.

1.6    Alle in diesem Dokument vorgestellten Themenbereiche sind unabdingbare Bestandteile eines jeden Glaskonservierungsprojekts. Keines der folgenden Prinzipien kann a priori aus den Überlegungen ausgeschlossen werden, auch wenn gewisse Detailfragen in einem Projekt gegebenenfalls nicht relevant sind.

2   Erforschung und Dokumentation

2.1    Der erste Schritt eines Konservierungsprojekts besteht in der Erforschung der Geschichte, der Funktion, der Materialien und Techniken, der früheren Restaurierungen und des aktuellen Zustands der Glasmalereien. Dies entspricht auch den regulären Forschungszielen des Corpus Vitrearum, weshalb es von beidseitigem Nutzen ist, diese Arbeiten mit dem Corpus zu koordinieren. Falls erforderlich, müssen technologische Studien und naturwissenschaftliche Analysen der vorgefundenen Materialien, Korrosionsprodukte und Ablagerungen durchgeführt werden. Die Ergebnisse dieser Voruntersuchungen bilden die Grundlage eines Konservierungskonzepts, das sowohl die Ziele und den Ablauf aller geplanten Eingriffe wie auch die langfristige Erhaltungsstrategie beinhalten muß. Daraus entsteht die detaillierte Arbeitsbeschreibung, die auch zur Ausführungs- und Endkontrolle dient.

2.2    Eine umfassende Dokumentation der Voruntersuchung und aller Konservierungsschritte, Methoden und Materialien ist obligatorisch. Bei der Ausleihe für Ausstellungen muß jedes Glasgemälde von einem schriftlichen Zustandsbericht begleitet werden, der von einem Restaurator ausgestellt wird. Die Materialbeständigkeit und die langfristige Zugänglichkeit dieser Dokumente muß durch den Eigentümer, eine öffentliche Institution (wo diese existiert) und den Restaurator gewährleistet werden.

3   Präventive Konservierung

3.1    Die vorbeugende Konservierung ist grundlegend für die Erhaltung von Glasmalereien sowohl in situ wie auch nach dem Ausbau aus ihrem architektonischen Kontext. Die Herstellung günstiger und stabiler klimatischer Bedingungen ist dabei ein Hauptziel. Die regelmäßige Überwachung der Glasscheiben und ihres Umfelds sowie das Erstellen eines detaillierten Wartungsplans sind wesentliche Bestandteile der präventiven Konservierung.

3.2   Schutzverglasung

3.2.1    Eine entscheidende Maßnahme im Rahmen der präventiven Konservierung ist die Installation eines Schutzverglasungssystems für architekturgebundene Glasmalereien, die durch mechanische Einwirkung und Umwelteinflüsse besonders gefährdet sind. Die Entlastung der Glasmalereien von ihrer Funktion als Klimascheide, ihr Schutz gegen mechanische und umweltbedingte Zerstörungen und die Vermeidung von Kondensation auf den Glasoberflächen sind die wichtigsten Ziele einer Schutzverglasung. Die Einbausituation jedes Fensters ist einzigartig und erfordert daher eine speziell abgestimmte Konstruktion der Schutzverglasung, die den besonderen konservatorischen Anforderungen der Glasmalereien und ihres architektonischen Umfelds sowie den physikalischen und ästhetischen Bedürfnissen des jeweiligen Gebäudes gerecht wird. Schutzverglasungen können daher entsprechend variieren: von außenseitig angebrachten und belüfteten Systemen bis hin zu innenbelüfteten isothermalen Schutzverglasungen, welche die derzeit effektivste Methode darstellen. Um diesbezüglich die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist ein fundiertes Wissen über die Funktionsweise und die Auswirkungen von Schutzverglasungen unabdingbar. Eine Schutzverglasung kann weitergehende konservatorische Eingriffe minimieren oder gegebenenfalls überflüssig machen und den späteren Ausbau der Glasfelder erleichtern. Schutzgitter können unter Beachtung der ästhetischen Auswirkungen als zusätzlicher Schutz vor mechanischen Beschädigungen eingesetzt werden.

3.3   Handhabung, Transport, Aufbewahrung und Ausstellung

3.3.1    Die Handhabung von Glasmalereien erfordert besondere Kenntnisse. Nur eigens dafür ausgebildete Fachleute sollten Glasgemälde ausbauen oder mit ihnen umgehen.

3.3.2    Für den Transport ist es ratsam, Glasgemälde aufrecht und ganzflächig angelehnt zu verpacken. Felder mit geschwächter Verbleiung, gefährdeter Bemalung, kleine Felder und Fragmente können waagerecht transportiert werden, wenn sie auf der ganzen Fläche unterlegt sind. Glasmalereien können vertikal oder horizontal gelagert werden, sie sollten in beiden Fällen ganzflächig abgestützt sein.

3.3.3    Die Materialien für die Verpackung, Lagerung und Ausstellung von Glasmalereien sollten in Kenntnis ihrer chemischen Beständigkeit, möglicher Schadgasabsonderungen und der Gefahr von Feuchtigkeitsaufnahme sowie von Abrieb ausgewählt werden.

3.3.4    Bei der musealen Ausstellung muß darauf geachtet werden, dass die Beleuchtungsstärke möglichst niedrig gewählt wird und in Leuchtkästen kein Hitzestau entsteht, da dies gewisse Konservierungsprodukte schädigt. Glasgemälde müssen durch geeignete Schranken vor dem unmittelbaren Kontakt mit dem Publikum geschützt werden.

4   Konservatorische und restauratorische Eingriffe

4.1    Eingriffe im Rahmen konservatorischer und restauratorischer Maßnahmen müssen auf einer sorgfältigen Erforschung der Geschichte des Glasgemäldes beruhen. Sie setzen eine langfristige Erhaltungsstrategie und die Planung präventiver Konservierungsmaßnahmen voraus. Nie sollte ein ganzes Feld undifferenziert einer Behandlung unterzogen werden. Bei der Planung eines Konservierungsprojekts sollte zu jedem Zeitpunkt des Projektablaufs genügend Zeit für eine bedachte Entscheidungsfindung, Beratung und Dokumentation vorgesehen werden.

4.2   Zugang, Konservierung am Ort und Behandlung vor dem Ausbau

4.2.1    Für die Sicherheit der Glasmalereien während ihrer Untersuchung und Behandlung am Ort muß ein geeigneter Zugang geschaffen werden. In vielen Fällen macht dies eigens zu diesem Zweck errichtete Gerüste auf der Innen- und Außenseite erforderlich. Unter besonderen Umständen sind jedoch auch andere Zugangsmöglichkeiten zu verantworten. Je nach Art und Umfang der notwendigen Maßnahmen, und in Anbetracht der Schäden, die durch den Ausbau entstehen können, sollte als erstes die Möglichkeit einer Behandlung am Ort geprüft werden. Müssen Glasmalereien jedoch ausgebaut werden, können vollständig reversible und unschädliche Maßnahmen zur vorläufigen Festigung eines Feldes erforderlich sein.

4.3   Die Behandlung der Glasoberfläche

4.3.1    Glasoberflächen, ihre Bemalung und Bearbeitung müssen vor jeder Behandlung eingehend untersucht werden, damit originale Materialien, deren Alterungserscheinungen und Zerfallsprodukte sowie Fremdstoffe aller Art erkannt werden können. Grundsätzlich werden Zerfallsprodukte als Zeugen der materiellen Geschichte des Glases angesehen. Das Hauptziel der Behandlung von Oberflächen ist die Erhaltung des Glases und nicht das Aufhellen des Glasgemäldes durch die Entfernung von Korrosionsprodukten und Ablagerungen. Ist sie notwendig, soll die Reinigung immer nur auf beschränkten Flächen in kontrolliertem Vorgehen erfolgen. Man muß sich der Gefahren durch die verwendeten Methoden und Produkte voll bewußt sein. Die Behandlung ganzer Felder oder Glasstücke in Bädern oder mit Kompressen ist zu vermeiden.

4.3.2    Die Sicherung von Bemalungen ist nur zu empfehlen wenn diese vom unmittelbaren Verlust bedroht sind. Handelt er sich um gelockerte, aber nicht abgelöste Malschichten, sind präventive Konservierungsmaßnahmen zu bevorzugen. Glasmalereien dürfen nie nachgebrannt werden.

4.4   Die Behandlung von Fehlstellen und Ergänzungen

4.4.1    Fehlstellen, Lückenfüller, Flickstellen und Ergänzungen sind Zeugen der Geschichte eines Glasgemäldes. Sie müssen vor jeder konservatorischen oder restauratorischen Maßnahme im Zuge der Voruntersuchungen eingehend studiert und dokumentiert werden. Man sollte nur dann neue Ergänzungen einfügen, Malereien retuschieren, verlorene Bemalungen rekonstruieren, Flickstellen neu ordnen und ältere Ergänzungen ersetzen, wenn dies aufgrund genauer kunsthistorischer und technischer Abklärungen einwandfrei zu rechtfertigen ist. Solche Maßnahmen müssen den Grundsätzen des minimalen Eingriffs und der Reversibilität unterliegen. Jedes ergänzte Glasstück muß dauerhaft mit Datum und Signatur oder anderen Zeichen kenntlich gemacht werden.

4.5   Statische Sicherung

4.5.1    Die Konservierung von Glasmalereien umfaßt auch die Strukturelemente der Felder und der umgebenden Bauteile, wenn sich das Glasgemälde noch am Ort befindet. Es kann von Vorteil sein, hierzu Fachleute aus anderen Gebieten beizuziehen.

4.5.2    Das tragende Gerüst eines Glasgemäldes kann aus Bleiruten, Zink oder anderen Metallen, Kupferfolien, Beton, Leinölkitt oder anderen Materialien bestehen. Unabhängig von ihrem Alter sind diese Strukturelemente integrale Bestandteile der künstlerischen Gestaltung eines Glasgemäldes und tragen zu seinem geschichtlichen Wert bei. Ihre Erhaltung ist ein wesentliches Ziel, obschon gewisse Eingriffe - einschließlich Erneuerungen - aufgrund des Zustands oder der Konservierungsbedürfnisse der Gläser erforderlich sein können. Stellt es sich als notwendig heraus, die Lesbarkeit des Kunstwerks zu verbessern, können ausnahmsweise selektive Eingriffe gerechtfertigt sein. Verformte Felder sollten wenn möglich so gerichtet werden, daß ihre Strukturteile konserviert und nicht ersetzt werden. Die Behandlung von Feldern in Bädern oder durch Erwärmen ist unzulässig. Ein Nachkitten ist nicht immer notwendig oder wünschenswert; dies hängt vom Zustand des Feldes und dessen zukünftiger Aufbewahrung ab. Wenn überhaupt, sollte nur punktuell nachgekittet werden.

4.5.3    Werden gebrochene Stücke gesichert, müssen sowohl das Alterungsverhalten der dazu verwendeten Materialien als auch die zukünftigen Konservierungsbedingungen des Glasgemäldes beachtet werden.

5   Impressum

Diese Richtlinien wurden von einer Arbeitsgruppe des Internationalen Komitees für die Konservierung von Glasmalereien verfaßt und von der Generalversammlung des Internationalen Corpus Vitrearum anläßlich des XXII. Kolloquiums in Nürnberg am 1. September 2004 verabschiedet.